1985 entführten vier Palästinenser das italienische Kreuzfahrtschiff «Achille Lauro» und erschossen einen jüdischen Passagier. Die Entführung löste eine Staatskrise in Italien aus und belastete die Beziehung zwischen Rom und Washington über Jahre.
Elena Panagiotidis
4 min
Die brutale Verschleppung von Zivilisten jeden Alters aus Israel in den Gazastreifen am 7.Oktober stellt einen neuen grausamen Höhepunkt in der Geschichte von Massenentführungen dar. Mit solchen Geiselnahmen gelingt es Tätern wie hier der Terrororganisation Hamas, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen und auf der internationalen Bühne als Gesprächspartner aufzutreten.
Bereits früher ist es zu Entführungen gekommen, man denke an die Ermordung und die Geiselnahme von israelischen Sportlern während der Olympischen Spiele 1972 in München oder die Flugzeugentführungen von Entebbe und Mogadiscio.
Der Ermordete wurde im Rollstuhl über Bord geworfen
Ein weiterer Vorfall im Zusammenhang mit der palästinensischen Frage war die Entführung des italienischen Kreuzfahrtschiffs «Achille Lauro» im Herbst 1985. Im selben Jahr hatten palästinensische Terroristen bereits mehrere Attentate begangen. Unter anderem hatten sie drei israelische Touristen auf einer Jacht vor Zypern ermordet.
Die Entführer der «Achille Lauro» waren vier Palästinenser Anfang 20, die aus Flüchtlingslagern in Jordanien und Libanon stammten. Sie gelangten mit gefälschten Pässen bereits in Genua an Bord. Die Terroristen waren Mitglieder der Palästinensischen Befreiungsfront (PLF), einer Abspaltung der PLO. Drahtzieher war der im Untergrund agierende Muhammad Zaidan alias Abu Abbas. Ihr ursprünglicher Plan, bis zum israelischen Ashdod zu gelangen und dort Israeli als Geiseln zu nehmen, wurde durchkreuzt, nachdem ihre Waffen vom Personal entdeckt worden waren. So brachten die Terroristen das Schiff zwischen Alexandria und Port Said unter ihre Kontrolle. Die meisten Passagiere befanden sich zu dem Zeitpunkt auf einem Landausflug, doch einige Dutzend waren an Bord geblieben, unter ihnen mehrere Schweizer.
Die Terroristen forderten die Freilassung von 50 in Israel inhaftierten Palästinensern und einem in Frankreich einsitzenden deutschen Neonazi. Unter anderem wollten sie Samir Kuntar freipressen, der 1979 im israelischen Naharija eine jüdische Familie in ihrem Haus überfallen, den Vater erschossen und der vierjährigen Tochter den Schädel eingeschlagen hatte.
Die Terroristen drohten damit, die Kreuzfahrtpassagiere nacheinander zu töten, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Bürger der USA sollten als Erstes an die Reihe kommen. Das Schiff würde in die Luft gesprengt, falls es zu einer Rettungsaktion kommen sollte.
Israel lehnte die Forderungen der Terroristen ab. Die Geiselnahme zog sich über drei Tage hin. Über die Zustände an Bord herrschte Unklarheit. Der PLF-Chef Abu Abbas behauptete unter Berufung auf die Entführer, dass niemand zu Schaden gekommen sei. So entschloss sich Ägypten mit Einverständnis der deutschen und der italienischen Botschaft, die Entführer an Land gehen zu lassen, ihnen freies Geleit zuzusichern – im Gegenzug gaben diese auf.
Doch dann wurde bekannte, dass die Entführer einen Passagier ermordet hatten: den 69-jährigen Leon Klinghoffer aus New York. Der jüdische Amerikaner war nach mehreren Schlaganfällen halbseitig gelähmt. Zusammen mit seiner Frau Marilyn gönnte er sich zum 36.Hochzeitstag die Reise durchs Mittelmeer. Der Anführer der Terroristen, Youssef Majed Molqi, schoss Klinghoffer in Kopf und Brust. Danach wurde die Leiche im Rollstuhl von Bord geworfen.
Vor Gericht sollte Molqi später aussagen, er habe speziell den Invaliden ausgewählt, «damit sie wissen, dass wir kein Mitleid mit irgendjemandem haben, so wie die Amerikaner, die Israel bewaffnen, nicht berücksichtigen, dass Israel Frauen und Kinder unseres Volkes tötet».
Der Drahtzieher konnte untertauchen
Als der Tod der Geisel bekanntwurde, zwangen amerikanische Militärjets die in Richtung Tunesien fliegende ägyptische Maschine, in der die Entführer sassen, auf Sizilien zu landen. Der PLF-Chef Abu Abbas, der ebenfalls mit den Entführern im Flugzeug sass, wurde von den italienischen Behörden ziehen gelassen und konnte untertauchen. Erst 2003 wurde er von den Amerikanern in Bagdad gefangen genommen.
Der Vorfall löste in Italien eine Regierungskrise aus und belastete lange Zeit das Verhältnis zu den USA. Beim Gerichtsprozess in Italien im Jahr 1986 wurden die Entführer zwar zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Dennoch liess der Richter laut eigener Aussage «mildernde Umstände» gelten. Dies wegen der Entbehrungen, die die Täter erlitten hätten, weil «sie unter den tragischen Bedingungen aufgewachsen sind, die das palästinensische Volk durchlebt». Der Richter habe wohl die Linie der Verteidigung akzeptiert, dass die Männer «Soldaten waren, die für ihre Ideale kämpften», und keine Terroristen, schrieb die «New York Times». 1996 tauchte einer der Terroristen während eines mehrtägigen Freigangs ab, der ihm wegen «guter Führung» gewährt worden war.
Die Sympathien, die die Justiz in den Augen einiger für die Täter erkennen liess, zeigte sich auch in einer von der Entführung inspirierten Oper. «The Death of Klinghoffer» wurde 1991 uraufgeführt und ist seither umstritten. Das dortige Libretto mit einem «Chor der verbannten Palästinenser» wurde stark kritisiert, da es die Terroristen als idealistische Freiheitskämpfer darstelle, zudem enthalte die Oper antisemitische Passagen.
Fälle wie die «Achille Lauro» zeigen, dass es palästinensischen Terroristen bereits früher gelungen ist, mit brutalen Geiselnahmen ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Und wie heute durften sie im Nachgang auf eine bald einsetzende Täter-Opfer-Umkehr hoffen und Sympathien für ihre angeblich gerechte Sache einheimsen.
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